Jeden Donnerstag um Sieben
Ein Tisch in einem Gasthaus: die Platte aus massivem Holz oder furniert; das pflegeleichte Resopal schon fast wieder verschwunden. Selten finden wir eine Decke darüber gebreitet und Blumenschmuck gibt es so gut wie nie. An den Wänden dahinter hängen manchmal Bilder oder Fotografien, die längst vergessene Gäste oder Wirtsleute zeigen; oft auch Geweihe, Krüge oder andere Devotionalien. Soweit ein Tisch wie andere. Wäre da nicht dieses Signet Stammtisch – ein Aschenbecher, ein Wimpel oder ein schmiedeeisernes Schild, das den Tisch samt der Stühle und Bänke, die ihn umgeben, als besonderes Territorium im Gastraum markiert und nur für bestimmte Personen zugänglich erklärt. Aber was ist ein Stammtisch? Wir glauben es alle zu wissen; denn im deutschen Sprachraum werden dessen Bedeutungselemente wie die Untersuchungen von Sprachforschern zeigen, übereinstimmend assoziiert. Männer, Bier und klare Worte – Vertrauen und Gemütlichkeit sind einige der Begriffe, die spontan genannt werden.
Volker Schrank legt keine nostalgische Dokumentation eines bedrohten Ortes gemütvoller deutscher Befindlichkeit und bürgerlichen Behagens vor. Stattdessen sehen wir menschenleere Interieurs, begrenzt auf das kontextuelle Minimum: Tisch und Stühle vor einer Wand – und ein Stammtisch-Schild. Dennoch erscheinen – vor unserem inneren Auge – die Akteure, die bald ihre Plätze einnehmen werden. Die örtlichen Honoratioren beispielsweise, eine heiter-verschworene Gemeinschaft vielleicht im Geschacher um Macht und Aufträge in der Stadt. Wir wissen um die Lauten, die Leisen, die Rechthaber, die Schweiger, die Melancholiker und die stets Vergnügten. Und so wie wir diese Runde sehen, so hören wir sie auch. Wir kennen deren Worte und deren ganz besonderen kommunikativen Stil. Denn "es ist", wie der Kulturanthropologe Wolfgang Reinhard betont, "von zentraler Bedeutung für die politische Kultur, dass die Stammtische überwiegend alle Politiker für Gauner halten, hingegen mit den lokalen und nationalen Sportstars siegen und leiden".
Stammtisch – das ist das beharrliche Bemühen, einfache Antworten zu finden auf komplexe Fragen. Und somit thematisiert Volker Schrank in seiner Arbeit auf elegant-indirekte Weise eben auch die Rituale des gesellschaftlichen Diskurses.
bildkultur präsentiert diese Reihe als Ausstellung:
12 Fine-Art Prints auf Büttenpapier
Bildformat 1000 x 1000 mm
© Volker Schrank / bildkultur 2009
Volker Schrank
lebt und arbeitet in Stuttgart.
1999 war er Förderpreisträger des Bundes freier Fotodesigner,
2000 Stipendiat der Kunststiftung Baden-Württemberg.
Bekanntgeworden durch seine Sammlung Stars der Wahrheit, bei der
er die maßgeblichen Nachrichtensprecher Deutschlands künstlerisch
in neuer Sicht portraitierte, widmet er sich beharrlich der fotografischen
Erforschung von Mythen.
www.volker-schrank.de >>